Der Friedhof und die „Scharrjee“-Kapelle

Es gibt mehrere Ansichten, wie man die Identität einer Gemeinschaft analysieren kann. Zur Identität im weiteren Sinne gehört wohl auch die Art des Umgangs mit der Vergangenheit bzw. mit den Vorfahren . Gerade im Falle schrumpfender Gemeinschaften ist oft der Friedhof einziges beredtes Zeugnis, der Rückschlüsse auf die einstigen Bewohner, doch auch auf deren Nachfolger zulässt.
Der sogenannte Deutschgemeinde-Friedhof bietet in den letzten Jahren oft Grund zur Sorge und Traurigkeit. Letzteres nicht nur wegen des Gedenkens an die dort Ruhenden, sondern in erster Linie wegen seines Aussehens. Vernachlässigung bis hin zu Verwahrlosung waren Ausgangspunkte um nach Lösungen zu suchen. Dabei sollten nach Möglichkeit alle in Frage Kommenden impliziert werden: die katholische Kirchengemeinde, die Vereine der Deutschen aus Großsanktnikolaus ( HOG und Forum) , das hiesige Rathaus und Privatpersonen. Auf diese Art und Weise konnten in den letzten Jahren zumindest ansatzweise erste Schritte gemacht werden, konkretisiert durch folgende Aktionen:
– Renovierung der Kapelle ( HOG)
– Bänke in der Allee zur Kapelle ( HOG)
– elektrische Beleuchtung in der Allee und der Kapelle ( Pfarrei und Forum)
– je ein Brunnen vor und in dem Friedhof( Pfarrei und Forum)
– Bepflanzung der Wege mit Laubbäumen ( Forum)
– Neubepflanzung und Pflege der Heldengräber ( Forum), nachdem bei diesen seitens des Deutschen Volksbundes Kriegsgräberfürsorge 2009 die Kreuze erneuert und ein Kiesweg angelegt wurde
– Soziale Fürsorge für die Bewohner des Friedhofshauses, um sie so für die Friedhofspflege zu motivieren ( Forum, Rathaus)
– Regelmäßige Spenden für die Bewohner des Friedhofshauses ( HOG)
Weitere wichtige Arbeiten sind noch vonnöten.
Als letzte Aktion kam die Renovierung der Cherrier-Kapelle seitens der HOG hinzu.
Dies nahmen wir zum Anlass, etwas mehr über jene Familie in Erfahrung zu bringen, welche die Erbauer dieser Kapelle ist. Die Ausbeute ist eher spärlich und doch lässt sie einige Schlussfolgerungen zu über die Bedeutung dieser Familie in unserer Gemeinschaft.
Von mehreren Seiten wurde angenommen, dass die Familie Cherrier aus Triebswetter nach Großsanktnikolaus gekommen wäre. Im Treffil-Buch, dem Familiensippenbuch von Triebswetter, kommen mehrere Cherriers vor, doch findet man keinen Vermerk zu einem, der nach Großsanktnikolaus gezogen wäre. Auch gibt es im Hauptweg vor der Cherrier-Kapelle einen schönen alten Grabstein, welchen Familie Wagner/ Baumann von Familie Kornelli übernommen hat. Dort seien die weniger wohlhabenden Cherriers beerdigt- wusste eine ehemalige Kollegin zu berichten, welche mittlerweile nun auch dort beerdigt ist. Die ältesten Einträge auf dem Grabstein sind: „Johann Cherrier, Schmidtmeister, geb. 1795, verst. 1847 ( 52 J.) und Anna Cherrier, geb. Müller, geb. 1802, verst.1880, (78 J).“ Daraus ergibt sich als Schlussfolgerung, dass sie schon lange in Großsanktnikolaus gelebt haben, oder kurz nach der Einwanderung her gezogen sind.
Die meisten Semikloscher verbinden ihre Erinnerung an diese Familie mit Nikolaus Cherrier (1857-1929). Dieser und anscheinend auch seine Geschwister besaßen viele Weingärten und hatten es so zu einem gewissen Wohlstand gebracht, der sich u.a. auch im Bau der noch zu Lebzeiten errichteten Kapellen-Krypta als private Ruhestätte sowie der bis heute bestehenden stattlichen Häuser in der „Lederer-Gasse“ ( heute Petru Maior) widerspiegelte.

ehemaliges Cherrier-Haus

ehemaliges Cherrier-Haus (2)

Unter diesen Häusern waren große Keller mit eisernen Querbalken. Sie hatten fest angestellte Buchhalter: Nessler und Röhrich. Obwohl viele Dienstboten dort meist bis abends spät arbeiteten, wurden sie selten mit ihrer Tagesarbeit fertig, weshalb es als geflügeltes Wort etwas abwertend im Ort hieß: „wie em Scharrjee sei Wertschaft“ oder „e Wertschaft wie beim Scharrjee“. Eines der Häuser wurde von Fam. Nessler von Fam. Cherrier gekauft. Im Alter hat Fam. Kornelli sich um die Cherries gekümmert und dafür das stattliche Haus geerbt.
In den Erzählungen über Nikolaus Cherrier spielen aber zwei andere Aspekte eine Rolle.
Zum einen ist es der Mord, dem seine erste Frau, Eva ( geb. Röhrich) am 20.04.1919, 51-jährig zum Opfer gefallen ist. Dabei sollen drei Unbekannte ins Haus eingedrungen sein und der Frau den Kopf abgeschnitten haben. Als große Sensation im Ort, lockte dieses Ereignis viele Schaulustige an. In den Matrikeln der katholischen Pfarrei findet man den Vermerk , dass sie infolge von Blutungen aus der Halsschlagader verstorben ist. Ihr Mann, Nikolaus, konnte durch eine Tapetentür flüchten, gelangte durch den Hof und Garten in die andere Straße und fand Unterschlupf im Hause des Fotografen Mortinson. So entkam er den Mördern und als Dank dafür, dass Mortinson ihn aufgenommen hatte, schenkte er ihm ein Haus. Die Mörder wurden in einem Wirtshaus in Ungarn festgenommen.
Zum anderen verbinden viele Semikloscher auch heute noch den Namen mit der großen Glocke der katholischen Kirche, welche nach dem Ersten Weltkrieg neu gegossen wurde, nachdem die ursprünglichen für den Krieg zu Kanonen eingeschmolzen worden waren ( siehe dazu S. 122 im „ Heimatbuch Großsanktnikolaus im Banat“). Im selben Jahr mit den dramatischen Vorkommnissen in seiner Familie, also 1919, wurde diese Glocke von ihm gestiftet. Auf der Glocke steht:
„ Zum Andenken des Stifters Nikolaus Cherrier und seiner verstorbenen Frau Eva Röhrich sowie seiner zweiten Frau Maria Leitner [in den Sterbematrikeln als geb. Schiffmann verzeichnet; Anm. von D.H.] und seiner Geschwister Anton, Anna, Theresia und Wilhelm Cherrier; Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden.
Zu Ehren des Hl. Nikolaus
1940 kg
Gegossen von Anton Novotny`s Sohn und Gussmeister Neduhal, Timisoara, 1921, [nicht 1919? Anm. D.H.] Nr. 4199“
Dafür ließ er es sich verbriefen, dass ärmere Kinder ein Nikolausgeschenk bekommen sollen und dass diese Glocke jeweils am 5. Dezember, dem Vorabend des Nikolaus- Tages geläutet wird, „ for te Scharrjee“-wie es hieß. Dies ist auch all die Jahre, so auch 2014, geschehen. Allerdings wird die „Scharrjee“-Glocke ab nun eine Weile ( oder gar für immer???) schweigen, denn wie Pfarrer Andó Attila erst kürzlich mitteilte, hat sie einen großen Sprung, der ihre weitere Verwendung unmöglich macht.

vor der Renovierung

vor der Renovierung

Gerade in diesem Kontext bekommt die frisch renovierte Kapelle einen neuen Stellenwert. Auch wenn sie in den letzten Jahren nicht mehr wie einst an Allerheiligen geöffnet wurde, so ist nun diese Möglichket wieder gegeben. Auch besteht nach wie vor die Möglichkeit von oben, „vom Kalvarienberg“ einen Rundblick über den Friedhof und seine Umgebung zu werfen.

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Und: ein Wahrzeichen des Deutschgemeindefriedhofs hat seine wohlverdiente Aufmerksamkeit wieder erlangt.

Dietlinde Huhn
17.03.2015

Ein Gedanke zu „Der Friedhof und die „Scharrjee“-Kapelle

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